Mo 12.3.18 // 20 Uhr // Saal
Foyer-Bar ab 19 Uhr

Waldes Dunkel

Lesung mit Nicole Krauss

Moderation: Günter Keil
Deutsche Lesung: Sunnyi Melles

»Ich fand auf unseres Lebensweges Mitte in eines Waldes Dunkel mich verschlagen, weil sich vom rechten Pfad verirrt die Schritte.«

Dante

Jules Epstein, 68, einst Beweger und politischer Macher mit übergroßem Ego, gerät nach der Scheidung von seiner langjährigen Frau aus dem Tritt. Zum Schrecken seiner Kinder verschenkt er den größten Teil seines Vermögens und möchte den Rest in eine Stiftung zum Gedenken an seine verstorbenen Eltern stecken. Am liebsten würde er den seit 2000 Jahren abgeholzten Mount Hebron in Israel aufforsten lassen. Schon im Flieger allerdings lernt er einen Rabbiner kennen, der ein Treffen sämtlicher lebender Abkömmlinge von König David plant und darauf besteht, Epstein gehöre zu dieser traditionsreichen dynastischen Linie. Epstein versucht, den versponnenen Rabbi loszuwerden, aber dann trifft er auf dessen verführerische Tochter, die in der Wüste Negev einen Film dreht. Nicole Krauss‘ neuer Roman (Deutsch von Grete Osterwald) ist ein traumhaft metaphorisches Gespinst.

»Zur Zeit seines Verschwindens hatte Epstein seit drei Monaten in Tel Aviv gelebt. Niemand hatte seine Wohnung gesehen. Seine Tochter Lucie war mit ihren Kindern zu Besuch gekommen, doch Epstein brachte sie im Hilton unter, wo er sie zu üppigen Frühstücken traf, bei denen er nur am Tee nippte. Als Lucie fragte, ob sie nicht mal bei ihm vorbeikommen könne, hatte er abgewiegelt und erklärt, es sei klein und bescheiden, nicht dazu geeignet, Gäste zu empfangen. Noch verstört wegen der späten Scheidung ihrer Eltern, hatte sie ihn mit zusammengekniffenen Augen angesehen – nichts an Epstein war je klein oder bescheiden gewesen – , aber trotz ihres Argwohns hatte sie sich damit abfinden müssen, wie auch mit all den anderen Veränderungen, die über ihren Vater gekommen waren. Am Ende waren es die Beamten der Kriminalpolizei, die Lucie, Jonah und Maya in die Wohnung ihres Vaters führten, die sich, wie sich herausstellte, in einem verfallenden Gebäude nahe dem alten Hafen von Jaffa befand. Die Farbe blätterte ab, und die Dusche zielte direkt auf die Toilette. Eine Kakerlake stolzierte majestätisch über den Steinboden. Erst nachdem der Kriminalbeamte mit dem Schuh draufgetreten hatte, kam es Maya, Epsteins jüngstem und intelligentestem Kind, in den Sinn, dass sie, die Kakerlake, vielleicht die Letzte gewesen war, die ihren Vater gesehen hatte.«

Nicole Krauss »Waldes Dunkel«